Kollegah

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29.04.2016

Freitag, 20:00 Uhr

Posthalle

Würzburg

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Zuhältertape Vol. 4

Sommer 2006. Halb HipHop-Deutschland diskutiert über diesen jungen Rapper aus Mecklenburg-Vorpommern und sein komplett durchgeschossenes 30-Track-Debütalbum »Halloziehnation«, das über ein hessisches Kleinstlabel erschienen ist. Darf dieser Marsimoto das denn überhaupt? Einfach den vom US-Produzenten Madlib und seinem Alias-Projekt Quasimoto bekannten Helium-Stimmeffekt adaptieren, wilde Wortspiele mit UK-Bässen versetzen und daraus sein ganz eigenes Ding machen? Doch schon während der Diskussion erledigt sich die Frage ganz von selbst – Madlib höchstselbst sendet Props von Übersee. Soweit die Legende.

Fast zehn Jahre ist das inzwischen her, und inzwischen ist Marten Laciny, der Mann hinter Marsimoto, ein echter deutscher Popstar, einer in der Liga von Jan Delay, Peter Fox oder Campino – alles übrigens auch Freunde von ihm, mit denen er unregelmäßig Musik macht. Mit seinem anderen, weniger spröden (und trotzdem erst nach Marsimoto etablierten) Alter Ego Marteria und den beiden Teilen von »Zum Glück in die Zukunft« konnte Laciny inzwischen Gold- und Platinstatus erreichen und große Hallen ausverkaufen. Das ganze Land pfeift noch seine letzten, alles zerberstenden Pop-Hymnen wie »Kids (2 Finger an den Kopf)« oder »OMG«, da hat er sich mit seinen musikalischen Mitstreitern schon längst in die Karibik zurückgezogen, um am vierten großen Marsimoto-Opus »Ring der Nebelungen« zu arbeiten.

»Ich rap', solang Babylon steht«, verkündet die inzwischen wohlig bekannte Pitch-Stimme gleich zu Beginn des Intros. Tatsächlich ist die latente Reggae-Referenz durch den Babylon-Verweis auch ein versteckter Hinweis auf den Entstehungsort des Albums. Für einen Monat ließ sich die komplette Green Berlin-Posse unter Leitung ihres maskierten Anführers nämlich Anfang des Jahres in einer großzügigen Residenz auf Jamaika nieder. Das vierte Marsimoto-Werk nach »Halloziehnation« (2006), »Zu zweit allein« (2008) und zuletzt »Grüner Samt« (2012) entstand also an der karibischen Küste, zwischen Bungalows und Angeltrips. Dass Laciny gerne in abseitige Regionen reist, weiß man spätestens seit der Kampagne zu seinem endgültigen kommerziellen Durchbruch, dem letztjährigen Marteria-Album »Zum Glück in die Zukunft II«, für dessen visuelle Begleitung er in drei Wochen um die Welt flog.

Doch von den massenkompatiblen Hooks und Pop-Melodien, die Marteria aus der HipHop-Szene bis an die Spitze der Charts katapultierten, will Marsimoto nichts wissen. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom – und so will der grantelnde Grünträger nicht einstimmen in die Forderung der Grasjünger nach der Legalisierung von Marihuana, die spätestens seit der Diskussion um den Görlitzer Park in Berlin auch bundesweit wieder laut wird. Stattdessen pöbelt Marsi aus dem Exil auf Rügen: »Illegalize It!« Und setzt noch eins drauf: »Zecken raus!« Denn Marsi will gar nicht, dass alle werden wie er. Der bekennende Outsider begehrt auf gegen die Vereinnahmung durch den Mainstream. Genau darum ging es ihm immer schon: Um die Abgrenzung von der Masse, ums Abfeiern des Ausbruchs. »Das Gefühl, wenn man das Weed vom Zeltplatz aufs Splash-Gelände geschmuggelt hat, das darf nicht verloren gehen«, lacht Laciny.

Was die textlichen Referenzen angeht, ist Marsimoto immer noch ein klares Kind der Neunziger. In »An der Tischtennisplatte« beschreibt er eine Jugend zwischen Victory-Schuhen, Wit-Boy-Jeans und Panasonic-Stereoanlage, »Trippin'« enthält Vokalschnipsel von den Gravediggaz und De La Soul. Doch der Marsi-Soundentwurf geht weit über die reine Retromanie hinaus: Die spätzündenden Beat-Outros von Timbaland, die zitternden Rhodes und stolpernden Drums von J Dilla, die ätherischen Flächen von Flying Lotus und dessen singendem Yoga-Lehrer Gonjasufi – all das haben Nobodys Face, BenDMA, Kid Simius, Dead Rabbit und The Krauts kanalisiert und schlüssig in die Green-Berlin-Philosophie übersetzt. »Marsi macht jetzt Musik«, heißt es an einer Stelle auf »Ring der Nebelungen«. Und was für welche.

Man kann diese Platte hören wie einen kurzweiligen Sound-Trip, man kann sich von den gewaltigen Bässen und Drums umwerfen lassen, aber man kann sich auch über die doppelten Böden freuen, die beinahe jede Zeile bereithält, wenn man genau hinhört. Marsi zitiert deutsche HipHop-Geschichte von Freundeskreis bis Advanced Chemistry, »7 Leben« erweckt sogar die verkopfte Deepness von Spätneunziger-Underground-Helden wie RAG oder Doppelkopf wieder zum Leben. Marteria mag sich inzwischen weitgehend auf die treffende Punchline und die lakonische Formulierung in poptauglicher Formatierung konzentrieren – bei Marsimoto darf sich der innere Rapper in Marten Laciny hingegen mal wieder so richtig austoben. Da kann ein Song wie »Tijuana Flow« dann auch mal drei Strophen lang auf einem einzigen Reim basieren.

Das Phänomen Marsimoto ist längst viel größer als HipHop, gleichzeitig ist Marsi immer noch so sehr Rap, wie man nur sein kann. Zwischen dem Splash-Headliner-Slot und der ausverkauften Berliner Wuhlheide liegt eben auch nur ein Gefühl. Seine erklärten Vorbilder von Madlib über Aphroe bis Kool Keith mögen nie die großen Hallen gefüllt und Unmengen von Platten verkauft haben – Marsimoto macht es jetzt eben stellvertretend für sie und gleich auch noch für alle anderen seltsamen Outsider auf der Welt. Mit seinem »Stay weird, stay different«-Slogan hatte Oscar-Gewinner Graham Moore auf der diesjährigen Verleihung das Publikum zu Tränen gerührt. Marsimoto setzt diese Maxime in die Tat um und erreicht damit trotzdem mehr Menschen als bemühte Rap-Studenten mit ausgeklügeltem Marketing-Plan. Marsimoto ist der König der schönen Verlierer.

© Stephan Szillus
Berlin-Neukölln, 2015

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